Gerüchteküche XIV: Ist Decaf ungesund?
Ein Beitrag von Stephan Eicke in der Kategorie #Gerüchteküche vom 18. Juli 2022
In unserer Reihe “Gerüchteküche” nehmen wir uns regelmäßig Mythen im Bereich Kaffee an, die sich bereits seit langer Zeit halten. Hier untersuchen wir, ob sie komplett erfunden sind oder ob an ihnen nicht doch etwas dran sein könnte.
Die zwei Mythenkiller:
Stephan, Content Creator, und Jan, Content Strategist
Gerüchte, Mythen, Legenden
über Espressomehl und Kaffeesatz
Lasst uns etwas Wissen spenden,
hier hat alles seinen Platz
Jan: Es ist schon erstaunlich.
Stephan: Was?
Jan: Es ist neun Uhr morgens, du kommst ins Büro, hast in der einen Hand einen fetten, tropfenden Donut, und in der anderen eine Flasche Cola. Hat dir dein Arzt nicht erst letzte Woche gesagt, du musst dich gesünder ernähren und anfangen, Sport zu treiben?
Stephan: Wenn es doch aber schmeckt.
Jan: Die Frage ist, wie lange noch. Wenn du so weiter machst, kriegst du noch eine akute Herzverfettung.
Stephan: Da fällt mir ein… Ich habe in der Bahn heute morgen mitangehört, wie sich zwei Frauen über Decaf unterhielten. Die eine sagte, sie würde keinen Decaf trinken, weil der ja voller Chemikalien stecke.
Jan: Achso? Wieso bist du überhaupt mit der Bahn gefahren? Du wohnst zehn Minuten zu Fuß von hier.
Stephan: Lirum, larum. Wollen wir das Gerücht mal untersuchen?
Das Gerücht
Kaffee steckt voller Koffein. Wer kein Koffein verträgt, auf Kaffee aber nicht verzichten möchte, sollte daher zu entkoffeiniertem Kaffee greifen. Um das Koffein zu entfernen, muss ein komplexer chemischer Prozess in Gang gesetzt werden, der nur unter Zuhilfenahme giftiger Chemikalien stattfinden kann. So kommt es, dass im Decaf — sei es Kaffee oder Espresso — Substanzen stecken, die für den menschlichen Körper schädlich sind.
Der Versuch
Wir selber bieten entkoffeinierten Kaffee und Espresso an. Wird der mit gefährlichen Chemikalien hergestellt? Wir fragen unseren Röster Hannes: “Der Kaffee wurde unter der Verwendung von Ethylacetat entkoffeiniert. Es ist ein natürliches Lösungsmittel, das aus Rohrzucker gewonnen wird und mit dem über 97 % des Koffeingehalts herausgelöst wird. Die Rückstände des Ethylacetats liegen unter 30 ppm (Parts per million) und der Kaffee ist daher frei von Fremdgeruch und -geschmack. Nur die schönen süßlichen, leicht fruchtigen Noten des ausgewogenen Kaffees bleiben zurück.”
Aber möchte man “Lösungsmittel” in seinem Kaffee haben? Und wie gefährlich ist er?
Ethylacetat kommt in natürlicher Form auch in Bananen vor. In der Lebensmittelindustrie wird die chemische Verbindung, die auch unter dem Namen Essigsäureethylester bekannt ist, als natürlicher Aromastoff eingesetzt. Genauso ist Ethylacetat Bestandteil von Nagellackentfernern.
Soll derselbe Stoff, der auch in Nagellackentfernern steckt, auch in Kaffees enthalten sein? Wie oben erwähnt ist Ethylacetat organisch. Es kommt in verschiedenen Früchten vor, sodass wir geringe Mengen davon aufnehmen, wenn wir Bananen, Äpfel und Brombeeren essen. Für den Dekoffeinierungsprozess wird dieser natürliche Stoff jedoch meist synthetisch hergestellt. Wer mit der chemischen Substanz arbeitet, muss aufpassen: Sie kann zu Augenreizungen, Schwindel und Müdigkeit führen.
Die Dosis in entkoffeiniertem Kaffee ist aber so gering, dass Ethylacetat in dem Getränk sowohl von der US-amerikanischen Environmental Protection Agency (EPA) als auch von der EU als ungefähr eingestuft wurde. Nach einem Tierversuch empfiehl die EPA, dass bis zu 63 mg Ethylacetat pro Tag unbedenklich sind für eine Person, die ca. 70 kg wiegt. Bei höheren Dosierungen kann es zu Organschäden kommen.
Die Erklärung
Wie Hannes oben erklärt hat, liegen die Rückstände des Ethylacetats bei unter 30 ppm — das sind ⪪63 mg/k. Wenn du also ein ganzes Kilo Kaffee trinken würdest, nähme dein Körper 30 mg Ethylacetat auf. Das ist weniger als die Hälfte von 63 mg; der Menge, die von der EPA als gesundheitlich unbedenklich angesehen wird.
Es gibt aber auch andere Methoden, Kaffee zu entkoffeinieren. Umstritten ist Dichlormethan, in das die Bohnen für zwölf Stunden gelegt werden. Denn Dichlormethan steht unter dem Verdacht, krebserregend zu sein. Zudem schädigt es das zentrale Nervensystem.
Aufwändig ist das Swiss-Water-Verfahren: Hier werden die Bohnen in heißem Wasser gebadet, bis das Koffein komplett herausgelöst wurde. Der Nachteil: Auch die meisten anderen Bestandteile werden aus der Bohne herausgelöst. Sie werden anschließend entsorgt, während das Wasser durch einen Filter gepresst wird. Die Koffeinmoleküle werden isoliert und das Gemisch mit neuen Bohnen aufgekocht. Es ist ein gesundheitlich unbedenkliches, organisches Verfahren, doch unter Kaffeeliebhabern umstritten, da der Geschmack des Decafs als minderwertig im Vergleich zum Ethylacetat-Verfahren angesehen wird.
Das Kohlendioxid-Verfahren präsentiert sich als weitere Alternative: Hier werden die Rohkaffeebohnen mit flüssigem und gasförmigem Kohlenstoffdioxid unter hohem Druck gespült. Das CO2 verdampft und bindet das Koffein, das in reiner Form zurückbleibt.
Das Fazit
Jan: Die Antwort ist…
Stephan: …wie so oft kompliziert. Decaf, der mit dem Dichlormethan-Verfahren hergestellt wurde, ist in der Tat bedenklich. Mit Ethylacetat entkoffeinierter Kaffee ist wiederum unbedenklich, da die Menge an Ethylacetat zu gering ist, um Schäden anzurichten.
Jan: Als Alternativen stehen auch Decafs zur Auswahl, die entweder mit dem Swiss-Water-Verfahren oder dem Kohlendioxid-Verfahren verarbeitet wurden.
Stephan: Es lohnt sich auf jeden Fall, bei Händler:innen und Röster:innen nachzufragen, welches Verfahren angewandt wurde.
Jan: Hast du auch gefragt, wie viele Kalorien in diesem Donut stecken, bevor du ihn gekauft hast?
Stephan: Nein, Donuts sind gesundheitlich grundsätzlich unbedenklich.
Jan: Das halte ich für ein Gerücht.
Stephan: Mach zu dem Thema doch mal ein Ticket auf.
Herein in die Gerüchteküche
Woche für Woche gehen unsere Mythenjäger den beharrlichsten Gerüchten, der gepflegten Pseudowissenschaft und den gefühlten Wahrheiten rund um’s Thema Kaffee auf den Grund. Finde heraus, was sie bisher so alles herausgefunden haben.